3. Jean de Speratis Fälscher-Karriere in Frankreich

WOLFGANG MAASSEN, AIJP

Am 1. August 1914 – Sperati war fast 30 Jahre alt – heiratete er in Paris Marie-Louise Corne aus der Normandie, seinen eigenen Vornamen hatte er in die französische Form „Jean“ für „Giovanni“ geändert. Jean de Sperati klang einfach vertrauter in seiner Umgebung, wobei er vorerst noch weiter über Tag in der Fabrik arbeitete, aber jede Nacht schon mit seinen Fälschungsexperimenten beschäftigt war. Zeitweise hat er auch in Deutschland wohl Chemotechnik studiert, er bildete sich ständig weiter.


Am 4. September 1924 wurde seine Tochter Yvonne geboren. Schon Jahre zuvor war er mit seiner Frau – nach einem Zwischenaufenthalt nahe bei Grenoble – nach Lyon verzogen. Dort war er unter anderem als Vertreter und Handelsreisender für die Chemiefirma Serre de Loriol tätig. 1924 hatte er auch eine eigene Fabrik für die Papierproduktion eröffnet, die er allerdings bald wegen fehlender Wasserzufuhr wieder schließen musste. Die Tag- und Nacht-Arbeit war dem von seiner Kunst Besessenen zur Gewohnheit geworden. Es gilt als gesichert, dass ab 1920 Jean de Speratis Arbeiten unter den Händlern in Europa schon recht gut bekannt waren. Zu dieser Zeit war er aber immer noch sehr auf Geheimhaltung fixiert. Er wollte nicht auffallen und in das Licht der Öffentlichkeit treten.


Die Villa „Clair de Lune“ wird zum Refugium der Sperati-Familie. Bildvorlage: Michael Burzan
Die Villa „Clair de Lune“ wird zum Refugium der Sperati-Familie. Bildvorlage: Michael Burzan



1930 zog er mit seiner Familie nach Aix-les-Bains (Place du Revard) und eröffnete erstmals eine Werkstatt, sein Künstler-Atelier. Ein Jahr später (nach anderen Angaben: erst fünf Jahre später) zog er in dieser Stadt in eine größere Villa „Clair de Lune“ (Villa Mondschein) am Boulevard de la Roche du Roi Nr. 30 um (seine Mutter, Maria Arnulfi, starb am 13. Juli 1933 und hinterließ ihren Söhnen ein stattliches Vermögen). In seinem neuen Atelier verbrachte er ebenfalls 14 bis 16 Stunden je Tag mit der Herstellung von Fälschungen. Nach damaligem französischem Recht waren diese – solange sie als Imitationen gekennzeichnet waren – keine Fälschungen, sondern eben Imitate. Und während dieser Phase seines Lebens kennzeichnete Jean de Sperati auch seine Objekte, meist mit persönlicher Signatur mittels weichem Bleistift. Natürlich war er sich bewusst, dass man diese Signaturen leicht ausradieren konnte. Er ahnte, dass dies auch geschah, aber das sah er nicht als sein Problem, eher als seine Vertriebschance an.

Lucette Blanc-Girardet, die die Tochter Speratis, Yvonne, kannte und mit ihr verwandt war, verdanken wir auch deren Erinnerungen an den Tagesablauf im Hause des „Meisters“. Dessen Tag begann meist recht früh, um 6 Uhr morgens. Und zwar mit Gymnastik auf der Terasse, wozu er angeblich gerne Goethe (in deutscher Sprache!) rezitierte. Zudem liebte er das Angeln, das ihm Entspannung und Ruhe, selbst zum Philosophieren, gewährte. In den unteren Etagen der „Mondschein-Villa“ hatte er sein Büro und seine Arbeitszimmer, außerdem ein Labor und eine Dunkelkammer, so dass er Tag und Nacht fleißig produzieren konnte. Schaffenszeiten wurden unterbrochen von Reisezeiten, während denen er Ausstellungen, Händler und gute Kunden besuchte. Er scheute durchaus nicht die Öffentlichkeit.

Erst Jahrzehnte später erfuhr die Weltöffentlichkeit, dass es 1932 erstmals (sieht man von seinen frühen Jugendsünden in Pisa ab[1]) zu einer Identifikation der mittlerweile meisterlich ausgeführten Werke des Künstlers in der Öffentlichkeit gekommen war. Bei einer Londoner Auktion hatte ein holländischer Einlieferer eine große Anzahl wertvoller klassischer Marken eingeliefert, die dem Londoner Berufsphilatelisten William Houtzamer, ebenfalls holländischer Herkunft, suspekt erschienen und die er als Fälschungen ansah. Die Marken wurden damals dem Experten-Komitee der BPA (British Philatelic Association) vorgelegt, das nach genauer Untersuchung zum gleichen Ergebnis kam. Daraufhin wurden vom Einlieferer alle Adressen der Händler recherchiert, bei denen er die Ware eingekauft hatte, und diese Händler in verschiedenen Ländern hatten alle eine gemeinsame Bezugsquelle: Jean de Sperati!


Jean de Sperati in seinem Büro in der „Villa Mondschein“. Bildvorlage: WM-Archiv
Jean de Sperati in seinem Büro in der „Villa Mondschein“. Bildvorlage: WM-Archiv



Michael Burzan, der über mehrere Jahre ab 2011 eine Artikelserie über die von Jean de Sperati gefälschten Briefmarken in der Zeitschrift „philatelie“ veröffentlichte, schrieb allerdings, dass dieser selbst 1932 eine Prüfsendung unter seinem eigenen Namen an die British Philatelic Association eingesandt habe. Die Auswahl habe auf zahlreichen Blättern eine Vielfalt seiner Replikate hochwertiger Marken aus aller Welt, gebraucht wie ungebraucht, enthalten. Zuerst hielt man die Marken für echt, stellte angeblich Jean de Sperati sogar eine Rechnung über 15 Pfund für die Expertisen zu. Danach soll es Zweifel gegeben haben und man schickte die Marken ohne Kommentar an Jean de Sperati zurück, nachdem man sie vorher fotografisch dokumentiert hatte. Nunmehr hielt man sie für falsch, wie man auch im Prüfungsbericht von W. R. Mansfield an Sir John Wilson 1934 nachlesen konnte, dem auch die Belegfotos beigefügt wurden.


Von Jean de Sperati signierte Einzelabzüge seiner Replikate
Von Jean de Sperati signierter Einzelabzug seiner Replikate



Zu dieser Zeit hatte Jean de Sperati schon 234 Marken gefälscht, die bis dahin mehrheitlich von Prüfern in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien für echt erklärt worden waren. Nur hier in London war er nun aufgefallen. Statt dies aber der Presse mitzuteilen und mit entsprechenden Veröffentlichungen Erkennungsmerkmale zu publizieren, um damit weiteren Schaden zu verhindern, setzte der damalige Vorsitzende des BPA-Komitees, F. Stanley Philips[2], durch, dass die ganze Angelegenheit unter Verschluss bleiben solle. Er befürchtete eine große Verunsicherung des Philatelie-Marktes von enormem Ausmaß. Eine aus heutiger Sicht sicherlich sehr fragwürdige Entscheidung, denn so konnte Jean de Sperati für weitere 10–20 Jahre sein „Unwesen“ treiben! Und seine Umsätze stiegen von Jahr zu Jahr, die Zahl der von ihm immer wieder neu gefälschten Marken ebenso.


Von Jean de Sperati signierte Einzelabzüge seiner Replikate
Von Jean de Sperati signierter Einzelabzug seiner Replikate



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[1] Die allerdings wohl ebenfalls 1909 weitergeführt wurden, denn die DBZ berichtet im gleichen Jahr Monate nach der Festnahme über eine Frau Constantina Verti in Pisa, die interessante Auswahlen zu hohen Rabatten anbot. Die Adresse lautete 3 Via S. Paolo Ripa d’Arno. Es war Jean de Speratis Geschäftsadresse! (DBZ 1909, S. 171)

[2] Philips war Managing Director der weltbekannten Firma Stanley Gibbons in London. Das BPA-Prüfungskomitee war sowohl mit Sammler- wie mit Händlerprüfern besetzt.